Ein Interview mit Anke Gerber

Haastattelu suomenkielisenä: Miimihaastattelussa Anke Gerber

Anke Gerber ist Pantomimin, Tänzerin, Choreographin, Clown - eine Größe des Bewegungstheaters. Sie war auch meine Dozentin in Pantomime an der Etage in Berlin.

Ihr Lehrbuch Anatomie der Pantomime ist ein Klassiker, und in dem Buch definiert sie Pantomime als:
  • die Kunst der Haltung (in dem Sinne, dass durch äußere, körperliche Haltung und Bewegung der Charakter, die Einstellung die Emotion, also die innere Haltung einer Figur sichtbar gemacht wird)
  • die Zeichen- und Gebärdensprache des Alltags in überhöhter Form
  • die Illusionstechnik (das Zeigen von Kraftverläufen und nicht vorhandenen Objekten)
  • die Stilmitten (der trickreiche Umgang mit Bühnenraum und Bühnenzeit: das Lenken des Zuschauerblickes)
Anke hat meine Fragen über E-Mail geantwortet.


Foto: Floris Gerber


Was war Dein erster Kontakt mit Pantomime (zum Beispiel als Zuschauerin)? Wurdest du sofort inspiriert selber Pantomime zu machen?

Ich habe tatsächlich als Kind (so etwa mit 12 Jahren) in meinem winzigen Dorf einen Pantomime-Soloabend gesehen und war davon immerhin so beeindruckt, dass ich mich heute noch daran erinnern kann. Das mag dazu beigetragen haben, dass ich mich dann als Tanz-Studentin in Berlin für ein Pantomime-Training interessiert habe. Aber vor allem war es Neugier.

„Mich interessiert ein Beharren auf einer (wie auch immer gearteten) ‚reinen‘ Pantomime als Bühnenkunst nicht.“


Wie würdest Du deinen Pantomimestil/Technik beschrieben?

Sehr analytisch, wenig pathetisch eher forschend als missionarisch, ohne Verzierungen. Aber immer mit Blick auf alle anderen Künste. Mich interessiert ein Beharren auf einer (wie auch immer gearteten) „reinen“ Pantomime als Bühnenkunst nicht; mich interessiert vielmehr, wie man mit den pantomime-eigenen Elementen (z.B. Fixpunkt) für die Bühne arbeiten kann und zwar egal, ob es sich dann um eine Oper, ein Figurentheater für Kinder oder eine Hip-Hop-Choreografie handelt.


Anatomie der Pantomime, Fotos: Clement de Wroblewsky


Hast Du Mimenidole? Welche Künstler haben Deine Arbeit beeinflusst?

Das ist eine schwere Frage. Ich habe schon als Kind viel über Ausdruckstanz (german dance) erfahren, weil meine Mutter (als Dresdener Schauspielerin) vor dem 2. Weltkrieg Verbindung zu dieser Szene hatte. Ich kannte Harald Kreutzberg, Gret Palucca, Mary Wigman von Fotos und zum Teil auch aus Erzählungen. Nach meiner Tanzausbildung in Berlin habe ich jahrelang an der Palucca-Schule in Dresden Sommerkurse mitgemacht, habe Palucca auch persönlich kennengelernt, später auch an der Schule unterrichtet.

Und wenn wir von Idol sprechen wollen, von „so möchte ich auch arbeiten“, war das für mich am ehesten Harald Kreutzberg. Die Fotos von seinen Tänzen haben mich schwer beeindruckt, seine Arbeit mit Masken und die Vielfalt seiner Themen.

Mit Pantomime habe ich quasi ohne Pantomime-Vorbilder begonnen, ich habe da reingeschnuppert und das Training hat mir Spaß gemacht.

Marcel Marceau habe ich zum ersten Mal gesehen, als ich selber schon so ca 5 Jahre bei der Berliner Pantomime-Gruppe war. Und ich habe Marceau und seine Arbeit erst später so richtig schätzen gelernt. Im zarten Alter von 25 fand ich seine Spielweise zu pathetisch, künstlich, übertrieben und die Themen größtenteils altmodisch. Gefallen haben mir die komischen Nummern; mit den romantischen konnte ich nicht viel anfangen.

Mich haben eher Schriftsteller geprägt: Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Bertold Brecht.

Anke Gerber: rondo rojo, Foto: Günter Ries

„Ich hätte gern den Anteil an Illusionstechniken wirklich verblüffend ‚echt‘ und den körperschauspielerischen Anteil der Pantomime glaubwürdig.“


Du bist auch Tänzerin und Choreografin und nach meiner Meinung ist Deine Pantomimetechnik sehr tänzerisch (und gefällt mir daher auch sehr gut). Wie siehst Du die Verbindung von Tanz und Pantomime? Gibt es Tanz ohne mimische Nuancen/Elemente? Und umgekehrt, gibt es Pantomime ohne tänzliche Elemente? Oder sind die beiden mehr oder weniger verbunden?

Ich selbst empfinde meinen Technikstil nicht als tänzerisch. Aber er ist sicherlich weich, legt mehr Wert auf Wellen und fließende Bewegungen als auf Tocs. Es gibt Technik-Varianten die viel härter, eckiger sind und auf mich immer etwas mechanisch wirken. Das kann man natürlich auf der Bühne alles verwenden. Die Gefahr ist, dass ein sehr harter Stil das Publikum eher verschreckt als anzieht; die Zuschauer empfinden die Darstellung dann als übertrieben und unsympathisch.
Ich hätte gern den Anteil an Illusionstechniken wirklich verblüffend „echt“ und den körperschauspielerischen Anteil der Pantomime glaubwürdig. Mechanische und sehr stilisierte Bewegungen sind dafür nicht hilfreich.

Ich denke, dass Pantomime und Tanz zwei extrem unterschiedliche Prinzipien von Bewegungstheater sind, quasi Gegenpole. Ganz grob gesagt: Pantomime erzählt Geschichten für die Zuschauer und Tanz macht einfach dem Tanzenden Spaß, egal ob gerade jemand zuschaut oder nicht. Für mich allein würde ich immer nur tanzen, mimen hingegen nur wenn ich Zuschauer habe. (Ich habe das ausprobiert. Meine Tanz-Soloabende habe ich mit großem Vergnügen auch einfach nur geprobt, während die Pantomime-Soloabende zu proben, wirklich öde war und mich immer Überwindung gekostet hat.)

In der Bühnenpraxis sind Pantomime und Tanz aber oft verbunden - wie die zwei Seiten einer Medaille. Schon deshalb, weil die Darsteller meistens beides können. Wir haben unzählige Beispiele von Bühnenstücken, wo Gemimtes und Getanztes sich abwechseln - im Ballett, in der Commedia, im Tanztheater, in der Pantomime, im Stummfilm. Und es gibt auch (wenige) Stücke, in denen tatsächlich Handlung sinnvoll und lesbar getanzt wird und tänzerische Gesten ihre (vielleicht ursprüngliche) symbolische Bedeutung wiedergewinnen. „Der Grüne Tisch“ von Kurt Jooss ist so ein Stück.

Aber es gibt beide Künste auch jeweils in Reinform. Der „Maskenmacher“ von Marceau zum Beispiel enthält keine Tanzelemente (wenn wir mal davon absehen, dass Marceaus ausladende Gesten durchaus tänzerisch geprägt sind), jede Bewegung hat eine konkrete Bedeutung und ist zum Verständnis der Geschichte notwendig.

In den abstrakten Balletten z.B. von George Balanchine - als Gegenbeispiel - bleiben hingegen alle Bewegungen reine Formen, adäquat der Musik, es gibt keine konkrete Handlung, es werden keine Auseinandersetzungen zwischen konkreten Personen verhandelt.

Diese meine Definition des Unterschiedes zwischen Pantomime und Tanz ist natürlich nicht in Stein gemeißelt. Für mich ist sie in der Praxis beim Inszenieren sehr brauchbar, weil ich damit immer im Blick behalte, was ich dem Zuschauer gerade abverlange, zumute, mit welchen Mitteln ich ihn gerade überrasche, amüsiere, manipuliere oder langweile.



Anke Gerber: rondo rojo, Foto: Günter Ries


Was ist die Essenz der Pantomime?

Die Essenz jeder anderen Kunst auch: Zeige deinem Publikum seine Welt aus einer anderen Perspektive als er sie kennt, nämlich aus deiner.

„Die Chance, dass ein Einzelner so stark dominiert und ein Fach prägt, ist viel geringer als vor 50 Jahren, denke ich.“


Wie hat der Stand der Pantomime sich während Deiner Karriere entwickelt? Wie ist es jetzt?

Die Pantomime hatte in den 60er bis in die 80er Jahre ein ziemlich scharfes Profil. Zumindest für die breitere Öffentlichkeit war die Pantomime = Marceau: ein Solist auf der Bühne mit weiß geschminktem Gesicht, der ohne Wort und ohne Objekte spielt.

Marceau hat keinen adäquat starken Nachfolger. Das liegt nicht nur an den Spielern, sondern genauso an vielen anderen Bedingungen. Es gibt inzwischen sehr viel mehr Schauspieler, Tänzer, Mimen, Artisten. Die Chance, dass ein Einzelner so stark dominiert und ein Fach prägt, ist viel geringer als vor 50 Jahren, denke ich. Es gibt eine völlig andere Kunst- und Medienlandschaft. Und es gibt natürlich auch eine prononcierte Gegenbewegung zur „klassischen“ Pantomime. Es gibt aber auch sehr viel mehr Freiheit, eine größere Toleranz des Publikums, neue Sehgewohnheiten.
So ist die Pantomime wieder mehr eine Sammlung von handwerklichen Mitteln, die in ganz verschiedenen Zusammenhängen benutzt werden.

Ich glaube, es gibt Zeiten da bilden sich Stile heraus und Kunstformen gewinnen Profil und dann gibt es Zeiten, da fließen Kunstformen ineinander, mischen sich, sind manchmal nur noch schwer zuzuordnen. Aber vielleicht ist das auch eine Illusion und die scheinbare Klarheit ensteht nur in der Rückschau. Denn auch als Marceau auf dem Höhepunkt seiner Präsenz war (das hat er ja immerhin 30 Jahre durchgehalten) gab es jede Menge andere Mime, Mischungen von Pantomime mit anderen Theaterformen - das ist nur einfach nicht so aufgefallen, weil der Begriff „Pantomime“ so eindeutig von seinem Stil besetzt war.

Was wirklich neu ist, ist eine bewegungstechnische Entwicklung: die Welt hat ab den 80er Jahren eine neue Tanztechnik dazubekommen, den Breakdance und Electric Boogie. Und da hat die Pantomime Pate gestanden.




Man kann es nicht prognostizieren, aber mit Deiner Erfahrung, wie siehst Du den Zukunft der Pantomime?

Wer ist denn „die Pantomime“? Es gibt Schulen, wo sie gelehrt wird (oder eben nicht) und Bühnen, wo sie gezeigt wird (oder eben nicht). Es liegt bei den Leuten, die praktizieren (oder eben nicht). Marceau hat mal in den späten 90ern - als er auf einem kleinen Forum zu Gast im Mime Centrum Berlin war - auf die Frage nach der Zukunft der Pantomime sehr klug geantwortet. Sinngemäß: Die Zukunft der Pantomime liegt bei den Spielern. Wenn sie Pantomime spielen, dann gibt es Pantomime.

Edit 11.3.2019: Die Namen von Fotografen

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